Entre los impostores präsentiert sich als ein Jugendroman mit flotterem Tempo und scheinbar einfacher Erscheinung. Allerdings verbirgt sich unter dieser Oberfläche eine beunruhigende Frage: Was geschieht, wenn eine Gesellschaft entscheidet, dass einige Leben überflüssig sind und diejenigen, die „zu viel“ geboren werden, zwingt, in der Lüge zu existieren? Margaret P. Haddix konstruiert eine Dystopie ohne große ideologische Reden, aber gerade deswegen ist sie effektiver. Es ist nicht nötig, das Böse zu erklären, wenn es ausreicht, seine Konsequenzen zu zeigen.
Der Protagonist lebt ohne eigenen Namen, ohne rechtliche Registrierung, ohne Recht, gesehen zu werden. Seine Existenz hängt davon ab, nicht zu existieren. Er muss sich verstecken, vortäuschen, fremde Identitäten annehmen. Er ist kein Rebell oder epischer Held: Er ist ein Kind, das nur ohne Angst leben möchte. Und in diesem elementaren Wunsch offenbart sich die moralische Tiefe der Geschichte.
Der impostor als Symbol
Die Figur des „Impostors“ bezieht sich nicht nur auf eine fiktive politische Situation. Es ist ein mächtiges Bild des Menschen, dem die Wahrheit über sich selbst verweigert wird. Als Impostor zu leben bedeutet nicht nur zu lügen; es bedeutet, nicht legitim „ich“ sagen zu können. Haddix zeigt, wie die von der Macht auferlegte Lüge nicht befreit, sondern innerlich fragmentiert.
Aus einer implizit christlichen Lesart berührt die Erzählung einen wesentlichen Nerv: Der Name ist kein bloßer administrativer Datensatz, sondern eine Bejahung der Würde. In der biblischen Tradition bedeutet, einen Namen zu haben, gerufen, erkannt und geliebt zu werden. Den Namen zu nehmen, bedeutet, die Berufung auszulöschen. Das Kind ohne rechtliche Identität ist im Grunde ein Wesen, dem das Recht verweigert wurde, vor den anderen… und vor sich selbst jemand zu sein.
Die Angst als Regierungsmethode
Die von dem Roman beschriebene Gesellschaft braucht keine ständige Gewalt. Es reicht ihr die Angst. Der Protagonist lernt früh, dass jeder Fehler ihn verraten kann, dass jede spontane Geste ihm das Leben kosten kann. Das System verlangt keine innere Anhänglichkeit; es verlangt Schweigen. Und dieses erzwungene Schweigen formt Gewissen.
Haddix trifft es richtig, indem sie zeigt, wie die effektivste Kontrolle nicht die ist, die von außen unterdrückt, sondern die, die den Einzelnen zur Selbstzensur bringt. Das impostor-Kind lernt, sich zu verstecken, sogar wenn es allein ist. Es internalisiert die Lüge. Es lebt geteilt. Es ist nicht nötig, es zu unterstreichen: Der Leser nimmt es klar wahr.
Die Wahrheit als Risiko
Einer der Verdienste von Entre los impostores ist, dass es die Wahrheit nicht als abstrakte Parole darstellt, sondern als etwas Kostspieliges. Die Wahrheit zu sagen bedeutet, sich zu exponieren, die falsche Sicherheit zu verlieren, das Risiko einzugehen, öffentlich zu existieren. Der Protagonist sucht keine Revolution; er sucht einen Ort, an dem er nicht vortäuschen muss.
Aus einer christlichen Perspektive ist diese Spannung besonders eloquent. Die Wahrheit erscheint nicht als Ideologie, sondern als Bedingung für ein integrales Leben. Sie ist kein Machtinstrument, sondern eine Notwendigkeit der Seele. Wenn die Wahrheit verboten wird, wird nicht nur die soziale Ordnung zerstört: Der Mensch wird innerlich verletzt.
Ein Jugendroman, der die Jugendlichen nicht als naiv behandelt
Haddix verkindlicht ihre Leser nicht. Sie vertraut auf ihre moralische Intelligenz. Sie bietet keine expliziten Moralen oder vorgefertigten Lösungen. Sie stellt eine Grenzsituation dar und lässt den Leser die Ungerechtigkeit von innen erleben. Deswegen funktioniert der Roman auch für Erwachsene: Weil er von Realitäten spricht, die nicht exklusiv der Fiktion sind.
In einer Zeit, in der es normalisiert wird, mit fragmentierten Identitäten, auferlegten Diskursen und verhandelbaren Wahrheiten zu leben, erinnert Entre los impostores an etwas Elementares: Niemand kann voll leben, wenn er gezwungen wird, zu leugnen, wer er ist.
Entre los impostores, von Margaret P. Haddix, ist ein Jugendroman nur scheinbar. In Wirklichkeit ist es eine scharfsinnige Reflexion über Wahrheit, Identität und menschliche Würde. Ein Buch, das, ohne die Stimme zu erheben, eine klare Warnung ausspricht: Wenn eine Gesellschaft einige zu „Impostoren“ macht, lügt sie nicht nur über sie; sie lügt über sich selbst.
